Die Vergangenheit mit meinem Vater war lange Zeit ein Buch mit 7 Siegeln für mich. Da war einmal dieser Mann, den ich als Geschichtenerzähler und singenden Lebenskünstler in Erinnerung hatte. Der mir von Trollen und Hexen erzählte und vor dem meine Mutter, meine Schwester und ich eines Nachts fliehen mussten. Warum eigentlich fliehen? Mein Papa war doch der tollste Mann der Welt, mein König und ich war seine kleine Prinzessin.
Doch die Geschichten die mir meine Mutter über meinen Vater erzählte, hörten sich ganz anders an. Cholerisch soll er gewesen sein. Unzuverlässig, verwahrlost, paranoid… hm, wieso kann ich mich an diese Charakterzüge eigentlich nicht erinnern? Und dann war Papa plötzlich weg. Zunächst die Trennung als ich 6 Jahre alt war und schließlich sein gewaltvoller Tod als ich 15 war. Jahrelang habe ich mich gefragt, wer mein Vater eigentlich war. Ich trug innerlich noch das Bild in mir, ich sei seine kleine Prinzessin. Doch diese Prinzessin wurde einfach ganz plötzlich von ihrem König allein gelassen. Wie konnte das passieren?
Wie sahen meine späteren Beziehungen zu Männern aus?
Man könnte wohl eher von kurzen Liebschaften und unverbindlichen Affären sprechen. Sicherlich hatte ich auch Beziehungen, aber die hielten nie länger als 1-2 Jahre. Dann bin ich immer gegangen, bevor der Mann mich verlässt, so wie ich es beim ersten Mann in meinem Leben erfahren hatte. Meine Geschichte ist die Geschichte einer Frau, die so oder so ähnlich tausendfach erzählt werden könnte. Ich bin mir sicher, Du hast Deine ganz eigene Version und vielleicht wirft Dir Deine Vater-Tochter-Beziehung ja auch so einige Rätsel auf. Dass die Mutter uns als Frauen prägt, dürfte klar sein. Sie ist die erste Frau, die uns als Mädchen vorgelebt hat, wie sich eine Frau verhält. Sie hat das gleiche Geschlecht wie wir und daher erzählt uns die Mutter-Tochter-Beziehung sehr viel über die Ausprägung unserer weiblichen Identität und unseres Selbstbildes.
Während eine Tochter ab einem gewissen Alter irgendwann erkennt, dass sie das gleiche Geschlecht wie ihre Mutter hat und daraufhin feststellt„Ich bin wie Mama.“, erkennt das Kind, wenn es auf den Vater schaut: „Ich bin nicht wie Papa.“. Konkret bedeutet dass: Wenn ein Mädchen durch das Beobachten ihrer Mutter lernt, wie sich eine Frau verhält, entwickeln sich gewisse Glaubenssätze „Eine Frau ist schwach. Eine Frau ordnet sich dem Mann unter. Eine Frau muss sich um die Familie kümmern. usw.“ Unbewusst passt sich das Mädchen entweder diesen Glaubenssätzen an, denn es ist ja „wie Mama“ oder sie rebelliert gegen diese Glaubenssätze und versucht alles anders zu machen als die Mutter, um diesem Bild nicht zu entsprechen. Beide Wege können unfrei machen.
Welchen Einfluss haben unsere Väter auf uns Frauen?
Durch den Blick auf den Vater lernt die Tochter auf eine andere Weise. Sie lernt das „Wir-Erleben“ der beiden Geschlechter. Sie beobachtet, wie der Vater mit der Mutter umgeht und umgekehrt. „Papa hat es besser als Mama. Papa darf mehr, weil er ein Mann ist. Papa muss viel und hart arbeiten.“ Auch durch den Vater wird die weibliche Identität geprägt, aber immer in Bezugnahme auf das männliche Gegenüber. Angetrieben durch die in der frühen Kindheit verankerten Glaubenssätze versucht die Tochter nun vielleicht dem Vater nachzueifern. Durch das Idealisieren des Vaters „Papa hat es besser als Mama. Ich will lieber so sein wie Papa.“ unterdrückt die Tochter jedoch einen wichtigen Teil ihrer weiblichen Identität und den Zugang zu ihrer wahrhaftigen, weiblichen Kraft.
So war ich zeitlebens eine sehr vielbeschäftigte Frau, die genau wie mein Vater immer hart gearbeitet hat. Selbstverwirklichung war mein höchtes Gut. Zudem habe ich genau wie mein Vater den Weg der Lebenskünstlerin gewählt. Auf der einen Seite hat es mir viele Erfolge und einen langen Lebenslauf beschert, auf der anderen Seite habe ich meine Sensitivität unterdrückt, was dazu führte, dass ich meine Gefühle nicht wirklich fühlen und ausdrücken konnte. Enttäuschungen in Liebesbeziehungen und die Unfähigkeit meinem Gegenüber zu vertrauen waren die Folge.
Welche Dynamiken gibt es noch in der Vater-Tochter-Beziehung?
Nun gibt es aber natürlich noch weit mehr Dynamiken, die die Vater-Tochter-Beziehung beschreiben können. Nicht immer eifert die Tochter dem Vater unbewusst nach. Es können auch ganz andere Glaubenssätze durch den Vater verankert worden sein: „Männer sind gefährlich. Männer enttäuschen Frauen. Einem Mann darf ich nicht vertrauen. Männer verlassen mich.“ Diese inneren Überzeugungen und die daraus resultierenden Verhaltensmuster tragen wir dann in unsere späteren Beziehungen.
Durch diese inneren Überzeugungen kann es auch passieren, dass die Tochter männliche Seite in sich selbst und im Außen komplett ablehnt. Jetzt könnte frau sich fragen, wieso das nachteilig ist. Immerhin sind wir Frauen und wir wollen ja unsere weibliche Identität stärken und nicht unsere männliche Seite. Ja und dafür ist es wichtig im Leben einer Frau, dass sie der guten, männlichen Kraft begegnet und ihr zu vertrauen lernt.
Die gute, männliche Kraft im Leben einer Frau
Während das Weibliche das nährende, schöpferische Prinzip darstellt, symbolisiert das Männliche das Raum haltende, schützende Prinzip. Das Weibliche strebt danach sich auszudehnen und sich frei zu entfalten. Das kann es aber nur, wenn ihm ein stabiler, sicherer und vertrauenswürdiger Raum zur Verfügung steht. Dieser Raum wird vom gesunden, männliche Prinzip bewahrt.
Ich möchte es an einem Beispiel erklären: Indigene Völker ehren die Natur als weibliche Gottheit. Sie sind sich bewusst, dass sie als Menschen die Natur bewahren müssen, damit diese sich frei entfalten und Früchte tragen kann, um alle Menschen zu nähren. Wenn der Mensch jedoch beginnt zu glauben, er beherrsche die Natur, wird alles sehr schräg. Das Patriarchat hat uns ein ungesundes, männliches Prinzip präsentiert. Kriege, Ausbeutung und Missachtung der Weiblichkeit sind die Folge. In unserer Gesellschaft ist das männliche Prinzip nicht mehr Raum schützend, sondern Raum beherrschend, was dazu führt, dass sich das weibliche Prinzip nicht mehr in diesem Raum entspannen und sich frei entfalten kann. Genau diese Erfahrung des Vertrauens in das Männlich ist für uns Frauen jedoch wesentlich für die Ausprägung unserer weiblichen Identität und unserer Kraft.
Ich glaube jede Frau kennt dieses Gefühl, sich vor dem Mann schützen zu müssen und Grenzen verteidigen zu müssen. Wenn unbewusst noch die alten Programme„Ich kann Männern nicht trauen.“ in Dir laufen, dann begegnen Dir natürlich auch immer wieder Männer, die nicht vertrauenswürdig sind. Diese fehlgeleitete Dynamik soll Dich aber keinesfalls entmutigen. Auch wenn Du von Deinem Vater keinen schützenden Raum erhalten hast und Vertrauen ins Männliche lernen konnten, so ist es nie zu spät dies nachzulernen. Nur weil Du eine gewisse Erfahrung bisher noch nicht machen durftest, heißt dass nicht, dass es keine gesunde Männlichkeit in dieser Welt gibt.
Der Weg zum Vertrauen ins Männliche beginnt in Dir.
Bist Du bereit, neue Erfahrungen zu machen?
Bist Du bereit zu glauben, dass die gute Männlichkeit auch in Deinem Leben einen Platz findet?
Wir sind nicht einfach ohne Grund so geworden, wie wir sind. Unsere Geschichten wirken in uns. Wenn die Muster jedoch unbewusst bleiben und wir meinen, nichts mehr mit unserer Vergangenheit zu tun zu haben, dann handeln wir nach unseren erlernten Glaubenssätzen und manipulieren unser Glück dadurch sehr oft selbst. Wenn uns die Wunden unserer Vergangenheit jedoch bewusst werden, eröffnet sich plötzlich auch ein Handlungsspielraum.
Erst als mir bewusst wurde, welche Glaubenssätze durch meinen Vater in mir entstanden sind, konnte ich mein eigenes Verhalten in Beziehungen besser reflektieren. Anstatt immer wieder die gleichen Enttäuschungen zu erleben und dem Mann die Schuld zu geben, achte ich nun sehr genau auf mein eigenes Verhalten. Heute weiß ich, dass es mir schwer fällt, dem männlichen Gegenüber zu vertrauen. Es ist eine Wunde. Ich ehre diese Wunde, indem ich sie nicht mehr leugne. Ich merke es oft in Auseinandersetzungen mit meinem Freund, wie schmerzhaft noch dieses Misstrauen in mir wirkt. Langsam darf ich jedoch lernen, dass mein Freund es gut mit mir meint, dass er nicht einfach so wie mein Vater verschwindet. Selbst wenn wir uns trennen würden, ist das Gefühl mittlerweile in mir verankert, dass mein weiblicher Raum trotzdem von einer höheren, männlichen Kraft geschützt wird. Ich habe gelernt, meinen Vater zu „ent-idealisieren“ und ihn nicht mehr als Vorbild für alle Männer dieser Welt zu nehmen.
Es ist nicht der leichteste Weg radikal ehrlich auf sich selbst zu schauen, denn es ist der Weg JA zu den eigenen, tiefsten Ängsten zu sagen. Aber nur indem wir die Vaterwunde anschauen, können wir sie auch heilen, um wahrhaftige Mann-Frau-Beziehungen auf Augenhöhe einzugehen.
Liebe Germaid Charlotte,
wow, ich fühle mich so sehr angesprochen von dem, was Du schreibst. Auch wenn meine Vater-Beziehung sich für mich als weitestgehend geklärt anfühlt, so spüre ich, wie sie mein Leben und auch meine Beziehungen zu Männern geprägt hat. Jetzt scheint eine passende Zeit für mich zu sein, mich noch einmal darauf einzulassen, was noch geklärt und geheilt werden will.
Herzlichen Dank für deinen Impuls in diesem Blog und in dem, was durch dein Webinar noch weiter auf den Weg gebracht werden wird.
Alles Liebe
Kerstin